Karlsruhe - Filmfestival 2018

16. Stummfilm-Festival Karlsruhe

14. - 18. März, 2018

"Es wäre logischer gewesen, wenn sich der Stummfilm aus dem Tonfilm entwickelt hätte, als umgekehrt."
"It would've made more sense if silent film developed from sound film instead of the other way around"
Mary Pickford

Reihe: Friedrich Wilhelm Murnau

Der letzte Mann

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland - 1924
Produktion: Universum-Film AG (UFA), Berlin - Produzent: Erich Pommer - Regisseur: Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Carl Mayer - Nach einer Vorlage von: Carl Mayer - Kamera: Karl Freund - Schwenker: Robert Baberske - Musik: Giuseppe Becce - Karl-Ernst Sasse (Neue Musik - 1996) - Architekt: Walter Röhrig - Edgar G. Ulmer Assistant (--??--) - Robert Herlth - Darsteller: Emilie Kurz Die Tante des Bräutigams - Georg John Der Nachtwächter - Emil Jannings Hotelportier - Max Hiller Der Bräutigam - Olaf Storm Ein junger Kunde - Hans Unterkircher Hoteldirektor - Emmy Wyda Dünne Nachbarin - Hermann Vallentin Ein dicker Kunde - Maly Delschaft Die Tochter - Erich Schönfelder -
Inhaltsangabe : Der Portier des Hotels "Atlantic" verdankt seine Anerkennung und sein Selbstwertgefühl seiner prächtigen Uniform. Als der forsche Geschäftsführer des Hotels erkennt, dass der Portier wegen seines Alters Probleme mit den schweren Koffern der Gäste hat, degradiert er ihn zum Toilettenmann. Nun muss er seine prächtige Livrée abgeben. Als seine Tochter heiratet, beschafft er sich für die Hochzeitsfeier heimlich die Uniform, um vor den Nachbarn zu renommieren und den Schein zu wahren. Aber der Schwindel wird entdeckt. Verlacht und gedemütigt zieht sich der alte Mann in den Waschraum der Hoteltoilette zurück. Doch eines Tages stirbt ein reicher Hotelgast in den Armen des Alten und vermacht ihm sein Vermögen. Der Toilettenmann kann nun selbst als Gast im Hotelrestaurant speisen und erlebt nach seiner Deklassierung einen heiteren gesellschaftlichen Aufstieg... (arte Presse)
Kritiken : "Durch seine eigenwillige, expressionistische Kameraführung filmhistorisch ì bedeutsames Meisterwerk" (tele)
Anmerkungen: "Hintergrundinformationen: Wiederaufführung und Neueinspielung der Filmmusik sind ein Kooperationsprojekt von ZDF/ARTE, Saarländischem Rundfunk und Deutschem Filminstitut, Frankfurt am Main. Das Lexikon des Internationalen Films schreibt zu 'Der letzte Mann': 'Ein filmhistorisch bedeutsames Stummfilmdrama. Der 'entfesselten' Kamera gelingen zwingende Bildsequenzen, die nur sehr sparsamer Zwischentitel bedürfen, um die seelischen Vorgänge deutlich zu machen. Ein positives Ende - der alte Mann beerbt einen in seinen Armen sterbenden Millionär - wurde Murnau aufgezwungen; er inszenierte es mit bewusst ironischer Übertreibung.' Zur Rekonstruktion des Films: Aus den Aufnahmen zu F. W. Murnaus 'Der letzte Mann' wurden ursprünglich drei Originalnegative montiert, eines für Deutschland, eines für den allgemeinen Export und ein drittes für die USA. Die amerikanische Fassung ist fast vollständig in einer Nitro-Kopie überliefert, die Mitte der 20er Jahre für den Verleih in Australien gezogen und nun in Canberra aufgefunden wurde. Eine Nitro-Kopie der deutschen Fassung lagerte bei der 'Cinémathèque Suisse' in Lausanne, wo sie sich gegenwärtig befindet, ist nicht bekannt. In Lausanne existiert noch ein Dup-Negativ dieser Kopie. Es handelt sich jedoch um eine unvollständige Fassung, der der Epilog fehlt. Die übrigen noch erhaltenen Materialien entsprechen nicht mehr der Originalmontage des Films, nachdem die Ufa 1936 im deutschen Negativ und im Exportnegativ Veränderungen vornahm. Dieser Eingriff fand wahrscheinlich im Hinblick auf die Herstellung einer Kopie für das 'Museum of Modern Art' in New York statt. Aus unbekannten Gründen wurde die Szenenfolge der beiden Negative geändert, so dass alle später von diesen Negativen gezogenen Kopien eine Mischung aus diesen beiden Versionen sind. Das Filmarchiv im Bundesarchiv in Berlin bewahrt noch eines dieser 'vermischten' Original-Kameranegative auf. Die Restaurierung umfasste zunächst die vollständige Umkopierung des Negativs aus dem Bundesarchiv-Filmarchiv und der Kopie aus dem 'MomA'. Außerdem wurden einige Einstellungen aus der Schweizer Kopie verwendet. Im wesentlichen handelt es sich dabei um die Zwischentitel bzw. um Einstellungen, die deutsche Texte im Bild enthalten und die in den anderen Materialien heute fehlen. Andere verloren gegangene Einstellungen wurden aus einer älteren Kopie der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung entnommen. Anhand all dieser Materialien konnten die beiden Originalnegative rekonstruiert werden, die für die Auswertung in Deutschland und für den Export vorgesehen waren. Die Restaurierung von 'Der letzte Mann' konnte die Gestalt der erwähnten drei Negative in ihrer originalen Schnittfolge in der bestmöglichen Bildqualität wieder gewinnen, da als Vorlagen Nitromaterialien des Originalnegativs oder Kopien der ersten Generation zur Verfügung standen. Der Italiener Giuseppe Becce (1877-1973) hat die Entwicklung der deutschen Filmmusik jahrzehntelang mitbestimmt. Über 100 Filme hat er bis ins hohe Alter vertont, in der Stummfilmzeit war er einer der prominentesten Kinokapellmeister Berlins. 1927 veröffentlichte er das 'Allgemeine Handbuch der Filmmusik' und schuf damit ein Standardwerk der Musikliteratur. So steht mit der Wiederaufführung und Restaurierung von Murnaus Filmklassiker 'Der letzte Mann' auch die Wiederentdeckung eines großen Filmkomponisten an. Becce schrieb 1924 die Filmmusik, die bei der Uraufführung von 'Der letzte Mann' erklang. Sie ist seit der Stummfilmzeit nie wieder in einer größeren Orchesterbesetzung aufgeführt worden. Becces Musik zählt zu den wenigen erhalten gebliebenen Filmmusiken der Stummfilmzeit. Zur Rekonstruktion der Filmmusik: Für die Wiederaufführung der Becce-Musik für 'Der letzte Mann' wurde mit Detlev Glanert ein Komponist gewonnen, der in der Lage ist, sich kongenial in die musikalische Welt von Becce einzufinden, um aus einem heterogen überlieferten Werk ein organisches Ganzes entstehen zu lassen. Das neu entstandene Werk setzt für den Umgang mit überlieferter Stummfilm-Musik neue Maßstäbe. Bei der Bearbeitung ging Glanert davon aus, die vorhandenen Teile zu instrumentieren, zu schärfen, zu füllen und teilweise zu übermalen, ohne Becce in irgendeiner Form in Frage zu stellen. Andererseits gelang es ihm, diejenigen Stellen, an denen Becce Fremdzitate eindeutig nur als Platzhalter nutzte, in seinem Stil nachzukomponieren. Detlev Glanert hat eine Bearbeitung vorgenommen, mit der er - nach fast 80 Jahren - das umzusetzen und zu vollenden versucht, was Becce als individuelle, expressive Begleitmusik zu diesem Klassiker des deutschen Stummfilms vorschwebte." (Nina Goslar in arte Presse)

Our daily bread

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, USA - 1930
Produktion: Fox Film Corporation - Regisseur: Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Berthold Viertel - Marion Orth - Story : Elliot Lester The Mud Turtle - Kamera: Ernest Palmer - Musik: Arthur Kay - Architekt: William Darling - Kostümbild: Sophie Wachner - Darsteller: Tom Maguire - Edith York Mrs. Tustine, Mutter - Guinn Williams Landarbeiter - David Torrence Tristine - David Rollins - Dawn O'Day - Richard Alexander Mac (AKA Dick Alexander) - Helen Lynch - Ivan Linow - Charles Farrell Lem - Mary Duncan Kate - Ed Brady -

Tabu

Regie:   Friedrich Wilhelm Murnau, USA - 1931
Produktion: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Paramount Pictures, Inc. - Regisseur: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Drehbuch: Robert J. Flaherty - Friedrich Wilhelm Murnau - Kamera: Floyd Crosby - Robert J. Flaherty - Musik: Hugo Riesenfeld - Weiteres Team: Edgar G. Ulmer Postproduction - Darsteller: Hitu Der alte Häuptling - Jules Der Kapitän - Kong Ah Der Chinese - Matahi Der junge Mann - Reri Das junge Mädchen -
Inhaltsangabe : Als junges Liebespaar leben Reri und Matahi glücklich auf einer Südsee-Insel. Der alte Priester bestimmt, dass Reri zur Priesterin geweiht werden soll und dadurch für alle Männer tabu wird: sie muss sich von Matahi trennen. Doch die beiden Liebenden fliehen auf eine andere Insel, wo sich Matahi als Perlentaucher verdingt. Aber der alte Priester spürt sie auch dort auf, und um Matahis Leben zu retten, besteigt Reri freiwillig das Boot, das sie zurückbringen soll. Matahi versucht, das Boot einzuholen, doch der alte Piester kappt das Tau, Matahi wird im Meer ertrinken ...
Kritiken : "Dieser Film ist schon so oft in den Cahiers du Cinéma gepriesen worden, daß zukünftige Filmhistoriker hoffentlich anerkennen werden, welchen Anteil unsere Zeitschrift daran hatte, das vorschnelle Urteil der Zeitgenossen über den größten aller Filmemacher zu revidieren. Wenn es auch eigentlich nicht mehr nötig ist, so will ich doch noch einmal darauf hinweisen, daß es sich bei TABU eindeutig um das Meisterwerk seines Regisseurs handelt, um den größten Film des größten aller Filmemacher. Es ist ein beliebtes und unverbindliches Gesellschaftsspiel, persönliche Hitlisten aufzustellen. Ich möchte in mein Urteil jedoch meine Persönlichkeit eines Filmkritikers einbringen, der das Kino nicht nur liebt, sondern auch beweisen will, daß es sich dabei um eine Kunst, um die Kunst unserer Zeit handelt. Ich möchte beweisen, daß TABU einer der Höhepunkte der Kunst an sich ist. Wenn ich nur einfach belegen wollte, daß es sich bei Murnaus letztem Film um den besten Dokumentarfilm, um die schönste Liebesgeschichte oder um das eigenwilligste Filmwerk handelt, müßte ich vielleicht fürchten, daß mir die Argumente ausgehen. Wenn ich den deutschen Regisseur also mit Sophokles und Praxiteles vergleiche, anstatt mit Eisenstein, Griffith oder Renoir, so ist dies nicht Zeichen meiner Verwegenheit, sondern es geschieht aus Vorsicht. Das tahitische Paradies des Films hatte vierzig Jahre zuvor Paul Gauguin, dem Meister der modernen Malerei, als Refugium gedient. Anders als dieser freiwillige Exilant, der die abendländische Kunst und ihr arisches Schönheitsideal in Grund und Boden verdammte, baute der deutsche Filmemacher seine Kamera dort als Botschafter unserer Kultur auf. Ich kenne kein anderes Kunstwerk des 20. Jahrhunderts, das deutlicher den Stempel des abendländischen Geistes trägt, kein Werk, in dem die Gesten und die Blicke der Menschen von jener Größe sind, die die Halbgötter der Ilias oder die Helden des Nibelungenliedes auszeichnet. Niemand bestreitet, daß TABU in seinem Bild von Tahiti verfälschend ist. Aber welche Rolle spielt das, angesichts einer Exotik, die mein europäisches Wesen stärker als jedes andere Werk unserer Zeit zum Vibrieren bringt und mein Herz da erobert, wo Gauguin nur dem Intellekt schmeichelt? »Von der Natur sollten wir nichts kennen, als was uns unmittelbar lebendig umgibt«, sagt Goethe in den Wahlverwandtschaften. Unsere heutige Malerei, Literatur und Musik versuchen aufs Kräftigste diese bewundernswerte, vor Beliebigkeit warnende Formel zu widerlegen. Einzig die Kunst, deren Lob ich hier singe, vermag es dank ihrer strotzenden Gesundheit noch, uns glauben zu machen, daß die Zeiten, in denen sich die zivilisiertesten Völker ihre Götter nach ihrem eigenen Ebenbild schufen, noch nicht vorbei sind. Ich würde mich ja nicht darüber empören, daß RASHOMON heute TABU vorgezogen wird, wenn ich darin nicht gerade ein Zeichen des Selbsthasses unserer Zivilisation sehen würde, den Gauguin als einer der ersten in uns angelegt hat. Man möge mir verzeihen, daß ich im Zusammenhang mit TABU Kriterien anlegen mußte, die einem Filmkritiker normalerweise als Hochmut angerechnet werden würden." (Maurice Schérer [= Pseudonym von Eric Rohmer], in: Cahiers du Cinéma nº21, März 1953) / zitiert nach Bonner Kinemathek
Anmerkungen: Der Film wurde am 18. März 1930, einige Tage nach Murnaus Tod uraufgeführt. "'Tabu', das berühmte Stummfilm-Melodram von Friedrich Wilhelm Murnau, wurde an Originalschauplätzen in der Südsee gedreht. Die letzte Regiearbeit des bedeutenden Regisseurs wurde zu einer ungewöhnlichen und poetischen Mischung aus Spielfilm und ethnografischer Studie. Während der Dreharbeiten zu 'Tabu' kam es zwischen Murnau und seinem langjährigen Partner Robert J. Flaherty ('Nanuk, der Eskimo') zum Bruch. Noch vor der Premiere des Films verunglückte Murnau auf einer Autofahrt und starb am 11. März 1931 in einer Klinik in Santa Barbara, Kalifornien. Die Musik zu dem Stummfilm wurde Ende der 80er Jahre von der rumänischen Komponistin Violeta Dinescu neu komponiert und für den Film im Rahmen des Esslinger Stummfilm-Festes 1995 aufgezeichnet." (3SAT Presse) "Ich versuche, in jedem meiner Filme künstlerisches Neuland zu entdecken und neue künstlerische Ausdrucksformen zu finden. Im übrigen bin ich der Meinung, dass jeder Film, den der Regisseur wirklich erlebt, durchdringen wird, und jede Aufgabe, die sich nicht mit geldlicher Spekulation beschäftigt, weist auf die Zukunft." (F.W. Murnau) "Während der Entstehung des Tonfilms befand ich mich fern von der Zivilisation. Ich muss nun erfahren, wie die Lage ist und in welcher Richtung sich der Tonfilm entwickelt. Es ist lächerlich, behaupten zu wollen, dass der Tonfilm wieder verschwinden würde. Keine Erfindung, die sich als wertvoll erweist, wird je verworfen. Der Tonfilm bedeutet einen großen Fortschritt im Filmwesen. Unglücklicherweise kam er etwas zu früh - wir hatten gerade angefangen, uns mit dem stummen Film zurechtzufinden, waren im Begriff, die ganzen Möglichkeiten der Kamera auszunutzen, dann kam der Tonfilm auf, und die Kamera war vergessen, während Ideen entwickelt wurden, wie das Mikrophon zu gebrauchen sei." (F.W. Murnau)